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Buddy Guy

Gleich mehrere andere große Bluesgitarristen halten ihn schlicht für den Größten in ihren Reihen: Buddy Guy, der auf Youtube beim Montreal Jazz Festival in Kanada zu erleben ist. Der Live-Mitschnitt seines Auftrittes aus dem Jahr 1997 zeigt Guy mit seiner kleinen Big Band, einer siebenköpfigen, enorm spielfreudigen Formation samt Bläsersektion mit Posaune und zwei Saxophonen. Der Bluesstar selbst steht in Montreal in einem für ihn über viele Jahre charakteristischen Outfit auf der Bühne, das seinen Auftritten stets einen markant-lässigen Stil verliehen hat: Guy trägt eine schwarze Kappe und ein langes schwarzes Hemd mit großen weißen Punkten, in den Händen hält er eine schwarze Gitarre mit ebensolchen „Polka dots“, wie dieses auffällige Punkte-Muster im Englischen heißt.

Sein Instrument ist eine Fender Stratocaster, und schon gleich zu Beginn des Konzertes bei „Going Down“, einer Uptempo-Nummer von Jeff Beck, erweist sich Guy als Meister des Bending – einer Spieltechnik auf der Gitarre, bei der durch kräftiges Hochziehen oder Herunterschieben der Metallsaiten übergangslos höhere Töne erzeugt werden. Wie er die Saiten seiner Stratocaster angeht, ist im wahrsten Sinne des Wortes spannungsvoll – unter sekundenlangen Rückkopplungen ächzt, jault und heult das Instrument auf, bevor Guy das Lick – die instrumentale Phrase –  mit sagenhafter Fingerfertigkeit auf dem Griffbrett kaskadenartig wieder steil abwärts in die unteren Tonlagen des Gerätes führt.

Vokalpassagen, in denen der Musiker auch als kongenialer Bluessänger überzeugen kann, stehen im Wechsel mit energiegeladenen Soloparts auf der Stratocaster, die Guy in einer ganz eigenen Sprache mit dem Auditorium kommunizieren lässt. Seine Gitarrensoli, die sich in ruhigeren Momenten mit sanftem, fast zartem Bluesfeeling in die Ohren der Zuhörer schmeicheln, gehen mitunter in heftige Klanggewitter über, bei denen der Gitarrist sein Instrument ungestüm und zugleich äußerst gekonnt bearbeitet.

Auf dem Höhepunkt dieser Eruptionen wechselt Guy mit der Spielhand unvermittelt vom Plektrum zum Fingerpicking, indem er das Plastikplättchen zwischen der Wurzel des Mittelfingers und der Handfläche einklemmt, um die Saiten mit dem frei gewordenen Daumen und Zeigefinger in noch höherem Tempo anreißen zu können. Nur wenige Augenblicke später greift Guy mitten im selben Solo absolut übergangslos mit einer unfassbar geschickten, an Fingerakrobatik grenzenden Handbewegung wieder aufs Plektrum zurück, setzt mit dem Plättchen das Solo fort und bringt den Song so zu Ende.

Das kann dem besten Gitarristen passieren, weil es der Materialermüdung geschuldet ist: Bei Eddie Boyd’s Midtempo-Song „Five Long Years“ reißt eine Gitarrensaite auf der Stratocaster … Guy lässt sich von diesem Malheur in keiner Weise aus der Ruhe bringen, sondern greift das herunterhängende Ende der gerissenen Saite und formt daraus eine Metallschlinge, die er beim folgenden Solo auf den fünf verbliebenen Saiten als Schlaginstrument einsetzt und seiner Gitarre damit zur Begeisterung des Publikums völlig ungewohnte und noch verblüffendere Töne als sonst entlockt. Erst nach über 20 Minuten findet diese Bluesnummer einen phänomenalen Abschluss.

Zum Repertoire an diesem Abend gehören noch mehr Klassiker wie „The Hoochie Goochie Man“ oder „Mustang Sally“, die Guy in seinem einzigartigen Stil interpretiert – dies alles ist im Video zu sehen, das über den folgenden Link erreicht werden kann: https://www.youtube.com/watch?v=X6KGfmi0Cds

Ein toller Anspieltipp kurz vor Schluss des Gigs ist Stevie Ray Vaughan’s „Cold Shot“ (ab 47:40), bei dem Guy die Seiten seiner Strat in unnachahmlicher Weise zunächst mit einem Drumstick bespielt und später sogar ein Handtuch (!) übers Griffbrett zieht, um ein weiteres Mal einen neuen Sound zu erfinden, die man so noch nie gehört hat.